JULIA GÖRGES GANZ PRIVAT

Julia Görges sitzt auf einem stylischen Korbsofa mit weißen Polstern. Sie trägt einen rosafarbenen Rock, eine graue Jacke und weiße Turnschuhe. Insgesamt kommt sie ziemlich lässig und entspannt daher. Später wird sie im Gespräch zu ihrem Outfit sagen: „Das ist eher meine Welt als Kleidchen und High Heels.“ Dabei lächelt sie sympathisch. Überhaupt: Sie lacht viel. Görges – Tennisprofi seit 2005, 31 Jahre alt, geboren in Bad Oldesloe in Schleswig-Holstein, wohnhaft in Regensburg – macht auf den Beobachter einen rundum zufriedenen Eindruck. Nicht nur bei diesem Termin, auch bei diversen anderen Treffen auf der Tour versprüht die 1,80 Meter-Frau meistens gute Laune.

Görges scheint mit sich im Reinen und wenn es eine Eigenschaft gibt, die Deutschlands zweitbeste Spielerin am treffendsten beschreibt, dann ist es Bodenständigkeit. Sie ist ordentlich, pünktlich, bescheiden – und konservativ in Gelddingen. Das was sie einnimmt, spart sie in der Regel. Es sei denn, sie findet etwas, womit sie sich für einen Turniersieg belohnen kann. Das sind dann aber eher Dinge wie Handtaschen, Gürtel oder Schuhe. Görges sagt: „Ich finde es schön, wenn man mit jedem Stück, das man sich geleistet hat, die Erinnerung an einen Erfolg verbindet. Das versüßt es.“

Steigt man tiefer in das Thema Geld ein, erfährt man erstaunliche Dinge. „Ich interessiere mich sehr für meine eigene Steuerabrechnung. Ich finde es interessant, wie unser Steuersystem funktioniert. Da bin ich sehr korrekt“, sagt Görges. Ansonsten sei Geld wichtig, um zu leben, um einen guten Lebensstandard zu haben. Und dann verrät sie noch: „Normalerweise übernimmt der Manager die Buchung von Flügen und Hotels. Ich möchte das selber machen. Erstens, weil es mir Spaß macht, zweitens weil ich aus Fehlern lerne. Ich fuchse mich da gerne rein.“ Görges sammelt fleißig Meilen und sogar Payback-Punkte im Supermarkt. „Grundsätzlich“, sagt sie, „bin ich eher sparsam.“

Da passt es ins Bild, dass die Fed Cup-Spielerin ihre Heimat liebt – „Ich bin ein Riesenfan von Deutschland, ich liebe es, in Deutschland zu leben.“ Sie mag es, sich nach Turnieren in den eigenen vier Wänden aufzuhalten, im eigenen Bett zu schlafen. Ganz normal mit dem Fahrrad durch die Straßen zu fahren, sich mit Freundinnen auf einen Kaffee zu verabreden oder im Supermarkt mit Menschen zu reden, die sie – die Prominente – erkennen.

Das Klischee eines Top-Tennisprofis, der wie in einer Blase lebt – inklusive Businessflügen, besten Hotels, Player Partys, Limousinen, um sich von A nach B chauffieren zu lassen –, erfüllt sie nicht. Nach 15 Jahren auf der weltumspannenden Tour weiß sie zwar ihre Privilegien zu schätzen, empfindet Dankbarkeit, aber sie blickt immer wieder über den Tellerrand hinaus. „Es gibt viele Olympioniken, die in ihrem Sport verdammt gut sind und wenig verdienen. Im Feldhockey ist Deutschland zwei Mal in Folge Olympiasieger geworden, aber die Spieler müssen nebenbei noch einen Beruf ausüben“, sagt sie. Um dann zu schlussfolgern: „Der Wert eines Menschen spiegelt sich nicht im Geld wider, das er verdient.“

Apropos Blick über den Tellerrand: Görges ist eine absolute Fachfrau, wenn es um andere Sportarten geht. Sie schwärmt für Biathlon, verpasst kaum eine Übertragung im Fernsehen. Sogar mit den Gewehren, und wie sie technisch funktionieren, hat sie sich beschäftigt. „Die sprinten, stoppen, sprinten, stoppen. Dann müssen die die Luft anhalten, gleichzeitig die Augen kontrollieren. Das ist eine unglaubliche Leistung“, sagt sie. Ein paar Mal wurde sie sogar eingeladen, in Ruhpolding ein Rennen zu kommentieren. Das klappte bisher nicht. Dafür diverse Besuche in Fußballstadien. Görges ist Bayern München-Fan, hat sogar ein Shirt, auf dem ihr Name steht. Wenn Deutschland spielt, malt sie sich wie zehntausend andere Fans schwarz-rot-goldene Streifen auf die Wangen.

Der Hang zur Normalität mag an ihrem Elternhaus liegen. Eine behütete Kindheit. Als Fünfjährige schlägt sie die ersten Bälle im THC Blau-Weiß Oldesloe. Mit zwölf Jahren wechselt sie zum THC Ahrensburg, vor den Toren Hamburgs gelegen. Als Jugendliche ist sie Landesmeisterin von Schleswig-Holstein (U 14) und als 17-Jährige Landesmeisterin der Damen.

Da war die Profikarriere fast zwangsläufig – zumal sie schon als Kind nicht genug kriegen konnte von Rackets und gelben Bällen. Einmal füllte sie einen Kanister mit zehn Litern Wasser, montierte ein vier Meter langes Hosenbandgummi und bat die Mutter, einen Tennisball daran zu nähen. „Dann habe ich stundenlang damit gespielt, der Ball kam immer wieder zurück.“

Möglicherweise entwickelte sich durch den spielerischen Umgang eine besondere Gabe. Görges gehört zu den besten Aufschlägerinnen der Tour. „Ich habe den Ball immer leicht beschleunigen können. Ich konnte immer gut aufschlagen. Das war nicht viel Aufwand für mich“, sagt sie.

2018, als sie ihre beste Saison spielte, in Wimbledon das Halbfinale erreichte und am Jahresende auf Rang neun stand, zimmerte sie in 68 Matches 492 Asse ins gegnerische Feld, gewann fast 80 Prozent ihrer Aufschlagspiele. Zwischen 2010 und 2019 gelangen ihr mit 2.695 Assen die drittmeisten Aufschlagwinner auf der WTA-Tour – nur Serena Williams (3.133) und Karolina Pliskova (3.065) überflügelten sie.

„Oft haue ich einfach nur drauf“, sagt die Deutsche. Als wären Asse die normalste Sache der Welt. So normal wie Julia Görges selbst.

 

 

Andrej Antic
Der Autor ist Chefredakteur von tennis MAGAZIN